Leonard Bernstein ist ein charismatischer Erzähler und virtuoser Brückenbauer
Geschrieben von Martina Leipold am 17. April 2018
Leonard Bernstein hat die Musikgeschichte des vergangenen Jahrhunderts mannigfaltig geprägt und bereichert.
Am 25. August wäre der amerikanische Pianist, Komponist und Dirigent 100 Jahre alt geworden. Die Serie Bernstein 100 würdigt Leonard Bernstein als einzigartige Künstlerpersönlichkeit und musikalisches Multitalent und stellt seine unterschiedlichsten Facetten vor.
Über Musik würdig und treffend zu sprechen gehört zum Schwierigsten überhaupt. “Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist”, so hat Victor Hugo es einmal formuliert. Für Leonard Bernstein war das Schweigen nie eine Option. Vielmehr war der Künstler ein legendärer Erzähler und Erklärer von Musik, der es mit meisterhafter Gabe vermochte, das geheimnisvolle Zusammenspiel von Melodik, Harmonie und Rhythmus in Worte zu fassen und einem, gerade für klassische Musik, außerordentlich breiten Publikum näher zu bringen.
Enthusiasmus, Passion und Hingabe: Ein Leben für die Musik
Leonard Bernstein war kein kühler Analytiker. Vielmehr lebte er mit überwältigender Leidenschaft für die Musik und zog, ob als Dirigent, als Pianist oder Komponist, mit ungemeiner Präsenz und packender Emotionalität in den Bann. Zeit seines Lebens war es ihm ein großes Bedürfnis, diese grenzenlose Begeisterung für die Welt der Musik weiterzugeben und einer breiten Hörerschaft den Kosmos der Töne zu erschließen. Als musikalischer Tausendsassa verfügte Bernstein über eine Vielfalt von Talenten und einen beeindruckend großen Horizont, der weit über die klassische Musik hinaus reichte. Ob in seinen Interviews, bei Vorlesungen, in seinen Büchern oder bei Gesprächskonzerten: Immer zeigte sich Leonard Bernstein als offenherziger, ebenso kluger wie unterhaltsamer Kommunikator, der mit starkem Sendungsbewusstsein über Musik sprach und reflektierte. “Geschichten können Musik nicht erklären”, sagte er einmal zu seinem Publikum. “Es kommt darauf an, was Ihr empfindet, wenn Ihr Musik hört. Der Sinn der Musik liegt in der Musik.”
“Young People’s Concerts”: Die Jugend im Blick
Die Reihe “Young People’s Concerts” in New York ist bis heute untrennbar mit dem Namen Bernstein verbunden. Als älteste bestehende Familienkonzert-Reihe der Welt bringt sie klassische Werke auf originelle Art und Weise einem großen jungen Publikum näher und gilt als beispielhaft für die Gestaltung von Gesprächskonzerten. Als Leonard Bernstein 1958 zum Dirigenten der New Yorker Philharmoniker berufen wurde, fand er in den “Young People’s Concerts” eine perfekte Plattform für seine mitreißende Aufbereitung und Interpretation von unterschiedlichsten Orchesterwerken. Von 1958 bis 1972 leitete Bernstein insgesamt 53 dieser Konzerte und bald schon hatten die Aufführungen unter seiner Leitung Kultstatus. Dies lag auch in ihrer immensen Reichweite begründet: So wurden sämtliche “Young People’s Concerts” unter Bernstein im Fernsehen übertragen und in über 40 Länder verbreitet. In den Konzerten mit Titeln wie “Was ist Impressionismus?”, “Humor in der Musik” oder “Beethoven Forever” gelang es dem Dirigenten, anspruchsvolle Werke launig und einnehmend aufzubereiten. “Ich glaube fast, dass ich auf diese mehr als 50 Sendungen stolzer bin als auf alles andere, was ich je unterrichtet habe”, so Bernstein im Rückblick.
“Musik – die offene Frage”: Erkenntnisse in Harvard
Neben den “Young People’s Concerts” suchte Bernstein auch auf anderen Wegen die öffentliche Reflexion über die Kraft von Musik. Beispielhaft hierfür sind seine sechs Vorlesungen, die er als Gastprofessor des Charles-Eliot-Norton-Lehrstuhls für Poetik im Wintersemester 1972/73 an der Harvard University hielt. Die inspirierenden Vorträge, in denen Bernstein mit beeindruckender Tiefe und behänder Beredsamkeit über die Verbindung von Sprache und Musik reflektierte, fanden ein großes Publikum: So wurden sie zum einen in Buchform veröffentlicht und zum anderen im Fernsehen in viele Länder ausgestrahlt.
So gelang es Bernstein schließlich, sowohl in Tönen als auch in Worten seine Begeisterung für die Musik weiterzugeben. Die beste Erklärung für sein besonderes Talent lieferte er einmal selbst. So sagte der Künstler: “Ich lerne gern, ich bin ein ewiger Schüler und bin vielleicht deshalb ein ziemlich guter Lehrer.”